30.06.2020: In Berlin wird feierlich der „Zukunftspakt Schiene“ unterzeichnet und nochmals der „Masterplan Schienengüterverkehr“ vorgestellt.
Aber es gibt auch Güter, die unbedingt auf die Schiene wollen, aber die man gar nicht so richtig lässt.
Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis:
Der Transport von Transformatoren wird vor immer größere Herausforderungen gestellt und die Bundesregierung legt die Hürden noch höher.
„Die Schiene ist für uns der Verkehrsträger Nummer Eins.“ Diese Aussage prangt auf der Homepage des Bundesministeriums für Verkehr (BMVI) anlässlich der Unterzeichnung des Schienenpaktes und Weiterführung des Masterplans Schienengüterverkehr. Doch es gibt systemrelevante, alternativlose Güterverkehre, welche sogar durch Gesetze auf die Schiene geleitet werden, aber auf politischer Ebene in völlige Vergessenheit geraten sind.
Der elektrische Strom gehört genauso zu den Grundbedürfnissen der Bevölkerung wie Luft und Wasser. In manchem Horrorszenario diverser Bücher kann man nachlesen, wie schnell es mit der geordneten Struktur unseres Staates zu Ende geht, wenn der Strom einmal längere Zeit und flächendeckend ausfallen würde. (Blackout – Morgen ist es zu spät, Marc Elsberg; Bedrohung Blackout, T. C. A. Greilich) Niemand wagt, sich das vorzustellen. Genauso, wie sich bis vor kurzem niemand hat vorstellen können, dass ein einziges Virus die Welt verändern kann.
Zur Verteilung des Stroms und zur Beförderung der erneuerbaren Energien über weite Strecken sind Umspannwerke mit schweren Transformatoren unerlässlich. Solche Transformatoren können im Höchstspannungsnetz bis zu 450 t schwer werden und stellen bei An- und Abtransport eine enorme Herausforderung für die Logistiker dar.
Die vier großen Netzbetreiber (50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW) sind sich diesen schwierigen Anforderungen sehr bewusst. Schon seit der Vorkriegszeit wurde bei der Beförderung auf die Eisenbahn gesetzt, denn auf den Straßen können diese Lasten nicht über weite Entfernungen befördert werden und schiffbare Wasserwege sind nicht überall vorhanden.
Deshalb werden die Transformatoren nach dem Umrissprofil des DB Lademaßes konstruiert und gebaut. Für den Transport auf der Schiene sind eigens sogenannte Tragschnabelwagen mit bis zu 32 Achsen und 500 t Nutzlast in Dienst gestellt worden.
Die Infrastruktur ist ebenfalls pro Schiene angepasst: Für viele Umspannwerke und Kraftwerke werden eigene Anschlussgleise vorgehalten, welche bis an die Standorte der Transformatoren führen. Sogar längere Nebenstrecken werden auf Kosten der Energieversorger eigens für die hohen Gewichte ausgebaut, um bestimmte Regionen zu erreichen. Und wenn in unmittelbarer Nähe keine Bahnlinie verläuft, errichtet man im nächstgelegenen Bahnhof mit viel Aufwand eine Umsetzstelle. Dort können die riesigen Tragschnäbel samt Ladung auf spezielle Straßenfahrzeuge umgesetzt werden, die dann die letzten Kilometer bis zum Ziel auf eigens ausgebauten Schwerlaststrecken zurücklegen.
Und wo ist der Haken bei der Lösung?
Wenn man diese Woche wieder die Versprechungen zum „Masterplan Schiene“ hört, sollte man es kaum glauben. Aber in jüngster Zeit erscheint es oftmals unmöglich, diese Transporte auf dem Netz der DB durchzuführen.
2019 schrieben die vier großen Netzbetreiber einen Brandbrief an das Bundesverkehrs- und Bundeswirtschaftsministerium. Durch Umbauten an den Bahnsteigen und Abstufung von Streckenklassen sind einige Umspannwerke mit den übergroßen und überschweren Transporten nicht mehr zu erreichen, was bei Störfällen äußerst fatal wäre. Allerdings hat sich da bis heute nichts Zielorientiertes ergeben.
In den 70er Jahren wurden die Meilensteine in der Trafotechnik noch gefeiert und eigens neue Transportfahrzeuge bis zu 450 t Nutzlast entwickelt. Dazu gab es bei der damaligen DB ein sogenanntes Trafonetz. Die Zuwegungen und Korridore für diese Transporte waren sichergestellt. Und heute? Seit über sieben Jahren versucht DB Netz auf dringende Bitte der Energieversorger, wieder ein solches Netz ins Leben zu rufen, scheitert aber an Personalengpässen und nicht vorhandenen Daten zum Lichtraum trotz moderner Mess- und Datenverarbeitungstechnik.
Gleichzeitig gießt das Verkehrsministerium noch Öl ins Feuer: Durch den Beschluss, Bahnsteige auf 76 cm anzuheben, können viele Transformatoren diese Bahnhöfe nicht mehr durchfahren. Sicher, die Bahnsteige müssen einen behindertengerechten Standard aufweisen, aber man sollte an Ausweichgleise oder Ausweichmöglichkeiten bei den Umbauten denken. Aktuell investiert ein Anlagenbetreiber einen Millionenbetrag in den Neubau eines modernen 500 t tragenden Spezialwagens, welcher während der Fahrt die Ladung seitlich verschieben kann. Doch was nützt diese Technik, wenn gegenüber den neu angelegten Bahnsteigen kein Raum für die Verschiebung eingeplant wurde oder ein Ausweisgleis vorhanden ist.
Die Mehrzahl der Anträge auf Durchführung wird als erstes von DB Netz mangels tauglicher Infrastruktur oder aufgrund fehlender Streckenkenntnis zurückgewiesen. Es fehlt an der Ertüchtigung alter Infrastrukturen. Auch werden Nebenstrecken stattdessen abgestuft, da sie ja nur mit leichtem Personennahverkehr befahren werden. Aber niemand denkt dabei an den schweren Transformator, der nur über diese Route in diese Region gelangen kann.
Letztendlich investieren Energieversorger in bahntaugliche Transformatoren und Transporteure in teure Spezialwagen, welche eigens auf die Beförderung von Transformatoren ausgelegt sind. Aber der gleiche Staat, der den Netzbetreibern die Versorgungssicherheit gesetzlich auferlegt, baut gleichzeitig die letzten Beförderungsmöglichkeiten ab.
Diese Transporte scheint niemand im Blick zu haben, sonst wäre nicht zu erklären, warum an entscheidenden Flaschenhälsen im bundesdeutschen Netz schwache Brücken die Transporte unmöglich machen. Um die Versorgung nördlich vom Nord-Ostsee-Kanal sicherzustellen, müssen die Schwergüter zunächst nach Dänemark verschifft werden, um dann wieder zurück nach Deutschland befördert zu werden. Gut, dass unser Nachbarland eine gute Infrastruktur hat und diese Transittransporte (noch) zulässt.
Die Hauptgüterachse durch das Rheintal wird bei Neuwied für Schwertransporte jäh unterbrochen. Eine zu schwache Brücke zwingt einen Umweg über Kassel und Würzburg auf. Für diesen Umweg benötigt der Sonderzug bis zu sechs Wochen länger, da er nur an wenigen Stunden eines Wochenendes fahren darf. Zu lange Zeit, wenn ein dringend benötigter Ersatz benötigt wird.
Ebenso schneidet eine scheinbar nicht ausreichend tragfähige Brücke bei Aschaffenburg die Republik in zwei Teile.
Aber wenn die sogenannte Machbarkeitsstudie der Bahn die Strecke technisch freigibt, ist noch lange nicht klar, ob der Transport stattfinden kann. Bei der Konstruktion des Fahrplans steht ein außergewöhnlicher Transport immer hinten an. Nicht nur Regelzüge, sondern jeder Baulogistikzug und kleinere Baustelle haben Vorrang. Da es immer weniger Ausstellgleise in den Bahnhöfen gibt, wird es schwierig, überhaupt noch Zeitfenster für die Fahrt zu bekommen. Auf Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen ist an ein Durchkommen nicht zu denken, es fehlt an Überholgleisen und geeigneten Abstellmöglichkeiten, welche allesamt vorhanden waren und einem Rückbauwahn zum Opfer gefallen sind.
Da die Straßen immer weniger Schwerlasten aufnehmen können, hat die Spedition Kübler aus Michelfeld viele Millionen Euro investiert. Es wurden mehrere Schienentiefladewagen bis 500t Nutzlast und ein trimodales Terminal mit 500t-Kran gebaut.
„Die Politik möchte mehr Güter auf die Bahn verlagern. Schwertransporte werden zudem auf der Straße nur genehmigt, wenn ein Bahntransport ausgeschlossen werden kann. Wir haben deshalb viel investiert, um möglichst viele Transporte auf die Schiene zu verlagern. Nun wird dieses Ziel von der Bahn ausgebremst. Ein schleppendes Genehmigungsverfahren, schlechte Infrastruktur und zu enge Fahrplanfenster machen Transporte auf der Bahn fast unmöglich. Großkunden mit wöchentlichem Ausstoß haben alles für den Transport mit der Bahn konzipiert und müssen nun die Güter wieder per LKW transportieren, weil die Bahn langfristig keine Fahrzeitfenster für Sondertransporte anbieten kann.“
Geschäftsführer Spedition Kübler – Heinz Rößler
Und es gibt bereits einen Ausbaustau bei den Energieversorgern: Viele dringend benötigte Transformatoren, die nur per Bahn versendet werden können, stehen seit vielen Monaten bei den Herstellern und können nicht zugestellt werden.
Vieles stockt aufgrund der unkoordinierten Verkehrspolitik. Ein Netzbetreiber bestätigt, dass von den 40 bisher im Jahr 2020 geplanten und notwendigen Transporten grade mal fünf (!) bisher ausgeführt werden konnten. Die restlichen Projekte liegen wegen fehlender Genehmigungen auf Eis.
Wichtige Umspannwerke sind langfristig nicht erreichbar, weil auf allen Zufahrten gleichzeitig Dauerbaustellen eingerichtet wurden oder weil durch das Stopfen einer Gleistrasse eine Brückendurchfahrt zu niedrig wurde. Auch mittlerweile marode Brücken zwingen die Netzbetreiber in einen Revisionsstau Ihrer Anlagen.
Ein Blick über die Grenzen verrät: In der Schweiz und Österreich, aber auch Polen werden diese Transporte als systemrelevant eingestuft. Versorgungskorridore zu allen Quellen und Zielen werden systematisch katalogisiert und offengehalten.
In der Corona-Krise gehen viele Lösungen schnell und unbürokratisch von der Hand. Muss in Deutschland erst irgendwo für längere Zeit ein Black Out für Besinnung sorgen? Wann wird es in Deutschland endlich wieder befahrbare Korridore für die Energieversorgung geben? Erst, wenn eine Großstadt längere Zeit im Dunkeln bleibt, weil der Ersatztransformator nicht rechtzeitig ans Zeil kommt?
Es wäre schön, wenn es vorher vorwärts gehen würde.
Update: Das Thema wurde von uns auch in der DVZ vom 08.07.2020 zur Sprache gebracht: